„Das RESTLOS GLÜCKLICH sieht aus wie ein typisches Berliner In-Restaurant: abgeschlagene Wände, Tische im Retro-Look. In feiner Schrift schreibt Anette Keuchel auf eine schwarze Schiefertafel, was Koch Daniel gerade in der Küche zubereitet: Rote-Bete-Suppe, hausgemachte Gnocchi in Pastinaken-Möhren-Soße, Avocado-Schoko-Brownie mit Bananen-Soja-Majo.“[1]
Die 39-jährige Berlinerin vermeidet nicht nur privat, sondern auch beruflich die Verschwendung von Lebensmitteln. Vor wenigen Wochen eröffnete sie mit fünf Gleichgesinnten Deutschlands erstes Reste-Restaurant in Berlin-Neukölln. Dort wandern nur Nahrungsmittel in die Kochtöpfe, die Supermärkte und Bauern bereits aussortiert haben: krumme Karotten, Bananen mit Sommersprossen oder Äpfel mit Druckstellen.
Beim Ausdruck „Lebensmittel aus dem Müll“ verzieht Anette das Gesicht, denn ihr ist bewusst, dass die Firmen, mit denen sie kooperiert, die Lebensmittel nicht freiwillig entsorgen und nach konstruktiven Lösungen suchen. Dabei ist es ihr sehr wichtig, dass sie mit ihrem Projekt nicht nur Lebensmittel „rettet“, sondern auch Menschen zum Umdenken anregt. Denn alleine in Deutschland landen jährlich rund 18 Mio. Tonnen Lebensmittel im Müll, davon 7,2 Mio. Tonnen aus privaten Haushalten.
Im RESTLOS GLÜCKLICH können die Gäste miterleben, wie aus zufällig erworbenen und bunt zusammengewürfelten Zutaten leckere Menüs entstehen. Anette hofft, dass sie damit einen positiven Einfluss auf die Kunden nehmen kann. Vielleicht wird der eine oder andere beim nächsten Einkauf bewusster auswählen oder beim Blick in den Kühlschrank mehr Fantasie für die Kombination seiner Kochvorräte entwickeln?
Annettes brachte ihre Idee übrigens von einem Dänemark-Urlaub mit nach Hause. Sie hatte in Kopenhagen das Restaurant RUB & STUB entdeckt, das damals schon Lebensmittel vor dem Verderben rettete. Mit Freunden und Aktivisten aus der Foodsharing-Szene entwickelte sie einen Businessplan und startete eine Crowdfunding-Kampagne.
Die Ideengeberin selbst arbeitet jedoch weiterhin halbtags als Fremdsprachenkorrespondentin. Nur Koch Daniel, die Geschäftsführerin und der Veranstaltungsleiter sind fix angestellt. Alle anderen machen ehrenamtlich mit. Wenn man die Welt verändern will, dann braucht es Begeisterung und Leidenschaft. Und von dieser Sorte Menschen gibt es immer mehr. Auch wenn Pessimisten etwas anderes behaupten wollen.
Anette Keuchel, 39, eröffnete in Berlin-Neukölln das erste Reste-Restaurant Deutschlands, das „Restlos glücklich“ (Kienitzer Str. 22). Dort arbeitet die Mutter von zwei Töchtern (drei und sieben) neben ihrem Halbtagsjob als Fremdsprachenkorrespondentin ehrenamtlich. Am liebsten mag sie die Schichten im Service, weil sie dann mit den Gästen plaudern kann.
[1] Anette Keuchel habe ich – ebenso wie andere tolle Frauen, die die Welt verändern – in der Zeitschrift BRIGITTE entdeckt (19/2016). Foto: abendblatt-berlin.de