Viele Frauen sind sehr sensitiv und spüren ganz genau, was für sie im Umgang mit Männern gut ist und was nicht. Und dennoch kann es dazu kommen, dass sie gegen ihr eigenes Gefühl handeln oder sich dazu verleiten lassen, ein Risiko bewusst einzugehen. Vielleicht aus Neugierde, aus Unvorsichtigkeit, aus Abenteuerlust, aus Protest oder weil sie ganz einfach gelernt haben, immer nett zu sein und sich den Wünschen der anderen unterzuordnen. Nicht immer geht die Geschichte gut aus, wie im Märchen vom Grafen Blaubart zu erfahren ist.
Es wird schon nicht so schlimm sein…
Die Psychoanalytikerin Clarissa Pinkola Estés sammelte jahrzehntelang Geschichten, Mythen und Märchen über die Urnatur der Frauen und veröffentlichte sie in ihrem Weltbestseller Die Wolfsfrau – Die Kraft der weiblichen Urinstinkte.
Die zweite Erzählung in ihrem Buch handelt von Graf Blaubart, dem es gelingt, eine junge Frau zu verführen, die in ihrer Kindheit nicht gelernt hat, hinter die Fassade von anderen Menschen zu blicken um ihren wahren Charakter zu erkennen.
Die Erzählung
Graf Blaubart, ein gescheiterter Zauberer und Anhänger der schwarzen Magie, ist ein Schürzenjäger. Er versucht, drei Schwestern mitsamt ihrer Mutter aufgrund seiner Erzählungen und seines Reichtums zu beeindrucken. Ja, es gelingt ihm sogar, die jüngste der drei Töchter zu heiraten. Als er eines Tages verreist, überreicht er seiner Frau einen Schlüsselbund und verbietet ihr aber, den kleinsten Schlüssel zu benützen. Sie lädt jedoch ihre Schwestern ein und die Frauen öffnen alle Türen im Schloss, hinter denen sich große Schätze verbergen.
Als sie mit dem letzten, kleinsten Schlüssel die verbotene Türe aufschließen, entdecken sie lauter Frauenleichen. Blaubart bemerkt nach seiner Rückkehr ihren Ungehorsam und wird so wütend, dass er seine Gemahlin töten möchte. Da rufen die Schwestern ihre Brüder herbei, die in letzter Sekunde in das Schloss kommen und Blaubart in einem Kampf vernichten.
Die tiefere Bedeutung
Blaubarts Frau steht symbolhaft für alle Frauen auf der Welt, die eigentlich bereits in ihrer Kindheit hätten lernen sollen, dass …
… es „Raubtiere“ gibt, denen man zum Opfer fallen kann
… es Menschen gibt, deren Schliche man nicht so leicht durchschauen kann
… es charakterschwache Menschen gibt, die sich einfach nicht verändern können/wollen
… sie einen gewissen Bewusstseinsgrad erreichen müssen, um sich von anderen nicht blenden zu lassen, auch nicht durch Reichtum oder Macht.
Womit gehst du in Resonanz?
- Von welcher Art Mann fühlst du dich am stärksten angezogen? Warum?
- Was hat dir deine Mutter in Bezug auf die Wahl deines Partners vorgelebt?
- Wurdest du zum Nettsein erzogen? Oder hat dich deine Mutter dazu angehalten, auch NEIN zu sagen und zu den damit verbundenen Konsequenzen zu stehen?
- Wurdest du auf ein „Leben in freier Wildbahn“ vorbereitet oder bist du (über)behütet aufgewachsen?
- Liebst du das Abenteuer und das Risiko oder bist du eher vorsichtig?
- Reizt dich das Verbotene?
Ehrliches Hinter-die-Fassaden-blicken
Pinkola-Estés: „Nicht wenige Frauen haben die Blaubart-Geschichte buchstäblich am eigenen Leib erfahren. Sie heiraten, ohne jemals in die Tücken des Räubers eingeweiht worden zu sein, und suchen sich einen Partner, der sie zuerst manipuliert, dann beherrscht und schließlich körperlich und seelisch attackiert.
Selbstverständlich betrachten sie es dann als ihre heilige Pflicht, diesen armen, kranken Mann durch ihre Liebe von seinen Neurosen und Wahnideen zu heilen, und verbringen zwischenzeitlich viel Zeit damit, sich geflissentlich einzureden, dass sein unheimlicher blauer Bart bei günstigen Lichtverhältnissen beinahe elegant wirkt.“[1]
Es bedarf eines gewissen Levels an Bewusstsein, den wir erreichen müssen, um „nein“ zu sagen, und das fordert sehr häufig von uns, unsere Komfortzone zu verlassen. Auch wenn die Versprechungen eines Menschen sehr verlockend sind oder die Vorteile einer Beziehung unwiderstehlich zu sein scheinen: Der Preis dafür könnte allzu hoch sein und unser ganzes Leben zu unserem Nachteil verändern!
[1] Pinkola-Estés, C. : „Die Wolfsfrau“, München 1993, S. 55